Nach Autokorsos in NRW So läuft eine türkische Hochzeitsfeier ab

Düsseldorf · Türkische Hochzeiten ähneln deutschen in vielerlei Hinsicht. Die Braut trägt weiß, es wird gegessen, getrunken und getanzt. Einiges ist aber fundamental anders: Die Gesellschaft bewegt sich im Konvoi durch die Stadt, die Braut muss traurig sein.

Archiv: Dieses türkische Hochzeitspaar wird von der Generalkonsulin der Türkei in Karlsruhe getraut.

Foto: dpa/A3587 Ronald Wittek

Die türkische Hochzeit feiert nicht nur die Liebe zweier Menschen zueinander, sondern auch die Verbindung zweier Familien: ein fein austarierter Jahrmarkt der Eitelkeiten, Neckereien und Befindlichkeiten, indem es darum geht, die andere Familie mit Nettigkeiten und Aufmerksamkeiten zu übertrumpfen – ein bisschen aufgedreht, ein bisschen passiv-aggressiv, ein diplomatisches Mi(e)nenfeld. Der folgende Einblick in die komplizierte Zeit vor, während und nach einer türkischen Hochzeit beansprucht keine Vollständigkeit und betrifft ganz sicher auch nicht jede Heirat. Doch gefühlt ist jede türkische Hochzeit eine Variante des hier aufgezeigten Kosmos – und gefühlte Wahrheiten sind bekanntlich die neuen Fakten.

Der Tag davor: Ist traurig. Denn traditionell stehen vor der Hochzeit die Braut und ihr Abschied aus dem Elternhaus während einer Hennafeier im Fokus. An diesem Abend, dem Kina Gecesi, werden Bräutigam und Braut die Handinnenflächen und Finger mit Hennapaste gefärbt. Die Hennazeremonie ist traditionell der emotionalste Teil einer Heirat, die dominierende Farbe des Festes ist ein dramatisches Scharlachrot: das Kleid der Braut, die Blumen, die Kerzen, die gesamte Deko.

Das Brautpaar sitzt in der Mitte des Raums auf einem Divan oder zwei Stühlen. Zu einem herzzerreißenden Lied, das den Auszug der Tochter aus dem Elternhaus thematisiert, laufen die jungen, ledigen Freundinnen der Braut singend, langsamen Schrittes und mit Kerzen in der Hand in Kreisen um das Paar. Parallel dazu leitet eine ältere, erfahrene Frau, die eine glückliche Ehe führt (!), die Hennazeremonie und färbt dem Paar die Hände. Henna, gewonnen aus getrockneten und zerriebenen Blättern des Hennastrauches, soll Braut und Bräutigam miteinander verbinden und sie vor dem bösen Auge schützen. Das Rot symbolisiert Liebe, Lust und Fruchtbarkeit.

Wichtig: Die Gefühle, die es zu empfinden gilt, stehen fest: Die Braut muss traurig sein – am besten beweist sie das durch ein paar dicke Tränen – der Bräutigam hat einfach zu schweigen, die Brautmutter ist ebenfalls traurig, sie verliert schließlich ihre geliebte Tochter.

Und machen Sie sich keine falschen Vorstellungen, auch die 30-Jährige Ingenieurin, die toughe Neurochirurgin und die eiskalte Rechtsanwältin – sie alle sitzen am Tag der Hennafeier brav neben ihrem Verlobten und bemühen sich, traurig zu schauen, während ihre Freundinnen um sie herum tanzen. Und es macht keinen Unterschied, ob die Braut schon seit über zehn Jahren nicht mehr in ihrem Elternhaus lebt. Es spielt das gleiche Lied, es herrscht die gleiche Traurigkeit.

Ist die Zeremonie beendet und das Henna an den Händen, wird wieder getanzt, gelacht und gegessen. Dann auch wieder fröhlich.

Der Tag der Tage: Ist in seiner Anfangsphase dem deutscher Hochzeitsgesellschaften nicht unähnlich. Die Braut muss geschminkt, frisiert, gekleidet und bei Laune gehalten werden. Wenn der künftige Schwiegersohn an einer guten Beziehung zur Schwiegermutter interessiert ist, spendiert er auch der Mutter der Braut, ihren Schwestern, Schwägerinnen, Cousinen und engste Freundinnen den Besuch im Beauty-Salon. Er selbst und seine Freunde lassen sich beim Herren-Coiffeur – türkische Barbershops gibt es auch in NRW immer mehr – auf Hochglanz polieren.

Was dann folgt, ist die Abholung der Braut – eine komplizierte Angelegenheit. Der Bräutigam setzt sich gemeinsam mit seiner Entourage bestehend aus Familie und engen Freunden in Bewegung, um seine Angebetete abzuholen. Früher lieh man sich das luxuriöseste Auto eines Bekannten, um der Zukünftigen, ihrer Familie, der Nachbarschaft und dem ganzen Dorf zu zeigen: Ich kann eure Tochter versorgen.

Heutzutage kann das die Tochter meist schon selbst, aber in protzigen Autos macht so ein Konvoi eben mehr her. Kurz vor dem Haus der Braut steht ein Vertreter ihrer Familie und lässt den Konvoi nicht ohne Passiergeld durch. Da dürfen dann mitunter schon mal 500 Euro rüberwachsen, bis der Bräutigam und sein Hof weiter gelassen werden. Am nächsten Tag weiß meist niemand mehr, wo diese 500 Euro hingekommen sind.

Am Haus der Braut angekommen, wird erstmal ausgiebig getanzt. Begleitet wird das meist von einem Davul-Zurna-Ensemble: Zwei Herren, von denen einer eine zweifellige Zylindertrommel (Davul), der andere eine spezielle Trichteroboe (Zurna) spielt. Um diese feierliche, leicht militärisch angehauchte Musik verstehen geschweige denn mögen zu können, ist eine türkische oder zumindest orientalische Sozialisierung dringende Voraussetzung – das haben mehrere nicht repräsentative Umfragen unter deutschen Gästen auf türkischen Hochzeiten ergeben.

Während es also draußen vor der Türe tanzt, singt und klatscht, klopft der Bräutigam an der Tür der Braut, sie sehen sich das erste Mal und gehen mit ihrer Familie nach draußen. Dann tanzen erstmal alle gemeinsam noch ein paar Ründchen – ganz wörtlich, denn beim Halay wird typischerweise nebeneinander in Reihe getanzt, wobei sich die Tänzer mit den kleinen Fingern einhaken.

Dann setzt sich der nun aufs Doppelte angewachsene Konvoi in Bewegung Richtung Hochzeitssaal. Diese Fahrt wird durchaus mit Warnblinklicht, geschmückten Autos, langsamem Tempo und dem einen oder anderen Umweg zelebriert – das völlige Blockieren des Verkehrs ist allerdings keine türkische Tradition, sondern rücksichtsloses Verhalten mancher Angeber. In Istanbul würde wahrscheinlich ein Bürgerkrieg ausbrechen, wenn jeden Samstag irgendwelche Proleten den sowieso schon angespannten Verkehr lahmlegen würden.

Im Hochzeitssaal angekommen öffnet der Bräutigam der Braut vor den Gästen den Schleier und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn – in den meisten türkischen Familien küssen sich Paare vor Älteren nicht auf den Mund. Dann wird getanzt, gegessen, gefeiert und getrunken – je nach Familie, mal mit mal ohne Alkohol. Bei frommen muslimischen Familien sieht man unter den Tischen die eine oder andere Flasche Whisky, mit dem heimlich die Cola gestreckt wird.

Im Regelfall finden Sie auf einer türkischen Hochzeitsfeier keinen Geschenktisch. Irgendwann nach dem Essen werden die Gäste zur Geschenkezeremonie aufgerufen. Sie stellen sich in eine Reihe und hängen dem Brautpaar einer nach dem anderen Geld oder Gold an. Dabei geht es weniger um dekorativen Designerschmuck, sondern mehr um die Geldanlage.

Die klassischen Münzen und Armreife in unterschiedlichen Gewichtsklassen, die etwa der Braut angehangen werden, haben meist 22 Karat und je nach aktuellem Goldpreis einen Wert von rund 800 Euro – pro Armreif. Am Ende des Tages kann die Braut gut und gerne 20.000 Euro an ihrem Arm baumeln haben. Die Goldmanie hat traditionelle Gründe: Früher waren die Frauen keine Selbstversorgerinnen und somit ohne jegliche finanzielle Absicherung. Also schenkte man der Braut Goldschmuck zur Hochzeit, den sie im Falle einer Scheidung für sich hatte, und so ohne Mann nicht in die Mittellosigkeit stürzte. Heute noch schenkt vor allem die Seite der Braut Gold, das das Paar als Geldanlage nutzen soll, während die Seite des Bräutigams eher Geld schenkt, weil der Bräutigam beziehungsweise seine Familie für die Kosten der Hochzeit aufkommen – mit dem Geld wird also die Hochzeit bezahlt, das Gold wird angelegt.

Und die Trauung? Mit der Gründung der Republik hat Mustafa Kemal Atatürk 1926 die Zivilehe eingeführt. Im Sinne des Laizismus hat auch nur diese Rechtsverbindlichkeit in der Türkei. Eine islamische Trauung durch den Imam kann erst nach der standesamtlichen stattfinden.

Türkische Staatsbürger lassen sich in Deutschland zivilrechtlich in den türkischen Konsulaten trauen – deswegen sieht man oft Frauen in pompösen Brautkleidern vor den meist sehr schmucklosen türkischen Generalkonsulaten.

Die religiöse Trauung findet meist im Kreise der Familie und im Haus des Bräutigams statt. Nach einer Trau-Rede und vergleichsweise kurzen Predigt, fragt der Imam den Bräutigam drei Mal, ob er die Frau als Braut anerkennt. Danach wird die Frau drei Mal gefragt, ob sie den Mann als Ehemann anerkennt, anschließend die Zeugen drei Mal, ob sie die Ehe bezeugen wollen. Danach unterzeichnet der Imam ein Dokument, das regelt, was die Braut erhält, um sich abzusichern, sollte es zu einer Trennung kommen – Münzen und Armreife, die nur der Braut zustehen werden hier dokumentiert.

Im Falle einer zweiten (oder dritten oder vierten) Ehe kann man sich übrigens – nach rechtsverbindlicher Scheidung und neuer zivilrechtlicher Trauung – im Prinzip beliebig oft vom Imam trauen lassen.