Der Krypto-Superstar Vitalik Buterin will mithilfe von Blockchains die Wirtschaft und die Demokratie neu erfinden. 2014 schuf er Ethereum – eine der erfolgreichsten Kryptowährungen der Welt. Sein für alle zugänglicher Code kann das, was Bitcoin für Geld tut, für alles andere tun: Verträge, soziale Netzwerke und Sharing Economy. Heute ist seine Idee Milliarden wert und die Grundlage für NFT-Kunstwerke, virtuelle Immobilien und dezentralisierte Organisationen. Seine Essays handeln von der Gründung von Ethereum und seinem energiesparenden Verfahren für das Mining von Kryptowährungen: »Proof of Stake«. Und vielem mehr. Komplexe Themen führt er leicht verständlich und mit feinem Humor aus. Er öffnet uns die Augen für eine Zukunft, die schon begonnen hat.
Im Lauf des letzten Jahres wurde zunehmend über sogenannte Bitcoin-2.0-Protokolle diskutiert – alternative kryptografische Netzwerke, die von Bitcoin inspiriert wurden, aber die zugrunde liegende Technologie für Zwecke weit über Währungen hinaus nutzbar machen wollen. Die früheste Implementierung dieser Idee war Namecoin, eine Bitcoin-ähnliche Währung aus dem Jahr 2010, die für die dezentrale Registrierung von Domain-Namen genutzt wurde. Seit Neuestem erleben wir das Aufkommen von Colored Coins, die es Usern erlauben, im Bitcoin-Netzwerk ihre eigenen Währungen zu erschaffen, sowie fortgeschrittener Protokolle wie Mastercoin, BitShares und Counterparty, die Leistungen wie Finanzderivate, Spar-Wallets und dezentrale Börsentransaktionen anbieten.
Allerdings waren alle bisher erfundenen Protokolle spezialisiert, das heißt, sie bemühten sich, detaillierte Feature-Sets für spezifische Wirtschaftszweige beziehungsweise – in der Regel finanzielle – Anwendungen maßzuschneidern. Jetzt aber schlägt eine Gruppe von Entwickler:innen, zu denen auch ich gehöre, ein Projekt mit umgekehrter Herangehensweise vor: ein Kryptowährungsnetzwerk, das so generalisiert wie möglich sein und allen Usern erlauben soll, darauf aufbauend spezielle Anwendungen für alle erdenklichen Zwecke zu entwickeln. Das Projekt: Ethereum.
Kryptowährungsprotokolle sind wie Zwiebeln...
Eine verbreitete Designphilosophie vieler 2.0-Protokolle von Kryptowährungen ist die Auffassung, dass Kryptowährungen, wie das Internet, am besten so designt werden sollten, dass sich ihre Protokolle in verschiedene Layers (Schichten) aufspalten. Gemäß dieser Auffassung sollte man sich Bitcoin als eine Art TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol)-Netzwerkprotokoll des Kryptowährungsökosystems vorstellen, auf dessen Grundlage andere Protokolle der nächsten Generation erstellt werden können, ganz ähnlich wie SMTP für E-Mail, http für Webseiten und XMPP für Chats- alle aufbauend auf TCP als einer gemeinsamen zugrundeliegenden Datenschicht.
Bislang sind Colored Coins, Mastercoin und Counterparty die drei wichtigsten Protokolle, die sich an diesem Modell orientiert haben. Die Funktionsweise des Colored-Coins-Protokolls ist einfach: Um Colored Coins zu erschaffen, markieren User zunächst einmal spezifische Bitcoins mit einer besonderen Bedeutung – wenn Bob zum Beispiel ein Goldemittent ist, möchte er vielleicht einen Satz Bitcoins »taggen« (auszeichnen), und er sagt, dass jeder Satoshi 0,1 Gramm Gold repräsentiert und bei ihm eingelöst werden kann. Das Protokoll spürt dann diese Bitcoins in der Blockchain auf, was es möglich macht, jederzeit die Besitzer:innen zu berechnen. Mastercoin und Counterparty sind etwas abstrakter, denn sie nutzen die Bitcoin-Blockchain für die Datenspeicherung. Eine Mastercoin- oder Counterparty-Transaktion ist also eine Bitcoin-Transaktion, aber die Protokolle interpretieren diese auf ganz unterschiedliche Weise. Man kann zwei Mastercoin-Transaktionen haben, bei denen einmal 1 MSC und einmal 100000 MSC gesendet werden, aber aus der Sicht der Bitcoin-User, die nicht wissen, wie dieses Mastercoin- Protokoll funktioniert, sehen beide aus wie kleine Transaktionen, bei denen jeweils 0,0006 BT'C versendet wurden. Die Mastercoinspezifischen Metadaten sind in den Transaktionsergebnissen encodiert. Anschließend muss ein Mastercoin-Client die Bitcoin-Blockchain nach Mastercoin- Transaktionen durchsuchen, um die aktuelle Bilanz zu ermitteln.
Ich hatte das Privileg, mich direkt mit vielen der Erfinder:innen des Colored-Coins- und Mastercoin-Protokolls unterhalten zu können, und war in erheblichem Maße an der Entwicklung beider Projekte beteiligt. Im Verlauf der rund zweimonatigen intensiven Mitarbeit wurde mir jedoch schließlich bewusst, dass die zugrunde liegende Idee, solche höheren Protokolle auf tieferschichtigen Protokollen aufzubauen, zwar lobenswert sei, die gegenwärtigen Implementierungen jedoch grundlegende Mängel aufwiesen, die wohl verhindern würden, dass die Projekte jemals mehr als nur eine geringe Resonanz finden werden.
Bitcoin hat jedoch eine große Schwachstelle: Skalierbarkeit. Bitcoin selbst ist so skalierbar, wie es eine Kryptowährung nur sein kann; selbst wenn die Größe der Blockchain auf über ein Terabyte in die Höhe schießen sollte, gibt es ein im Bitcoin-Whitepaper beschriebenes, als »vereinfachte Zahlungsverifizierung« (SPV) bezeichnetes Protokoll, das »Light Clients« mit nur ein paar Megabytes Bandbreite und Speicherplatz erlaubt, sicher herauszufinden, ob sie Transaktionen empfangen haben oder nicht. Mit Colored Coins und Mastercoin verschwindet diese Möglichkeit jedoch. Aus folgendem Grund: Um herauszufinden, welche Farbe ein Colored Coin hat, muss man nicht nur die vereinfachte Zahlungsverifizierung von Bitcoin nutzen, um dessen Existenz zu beweisen, sondern man muss ihn auch bis zu seinem Ursprung zurückverfolgen und unterwegs bei jedem Schritt eine SPV-Überprüfung durchführen. Manchmal muss der rückwärtsgerichtete Scan eine exponenziell wachsende Anzahl Transaktionen prüfen, und bei Metacoin-Protokollen muss man sogar jede einzelne Transaktion prüfen, um etwas herauszufinden.
Genau das will Ethereum korrigieren. Es will kein Protokoll im Stil eines Schweizer Armeemessers sein, mit Hunderten von Features für jedes Bedürfnis. Vielmehr strebt Ethereum danach, ein überlegenes Basisprotokoll zu sein, auf dem – als Alternative zu Bitcoin – andere dezentrale Anwendungen aufbauen können. Es bietet mehr Tools an, mit denen gearbeitet werden kann, und verschafft sämtliche Vorteile der Skalierbarkeit und Effizienz von Ethereum.
Kontrakte, nicht nur über Differenzen
Als Ethereum gerade entwickelt wurde, bestand ein großes Interesse an der Zulassung von Finanzkontrakten auf Basis von Kryptowährungen – der Grundtyp dessen ist ein »Differenzkontrakt« (CFD). Bei einem solchen erklären sich zwei Parteien zur Investition eines gewissen Geldbetrags bereit und sie erhalten einen Erlös, dessen Höhe proportional zu dem Wert eines zugrunde liegenden Vermögenswertes ist. So könnte zum Beispiel Alice bei einem CFD 1000 Dollar investieren, während Bob ebenfalls 1000 Dollar einsetzt. Nach 30 Tagen würde die Blockchain dann automatisch an Alice 1000 Dollar plus 100 Dollar für jeden Dollar, um den der ITC(Lightcoin) / USD-Kurs in diesem Zeitraum gestiegen ist, auszahlen, während Bob den Rest erhalten würde. Diese Kontrakte ermöglichen es, ohne zentrale Börse mit großer Hebelwirkung auf Vermögenswerte zu spekulieren beziehungsweise sich gegen die Schwankungsanfälligkeit von Kryptowährungen abzusichern, indem man ihr Wertänderungsrisiko ausschaltet.
Jetzt ist allerdings klar, dass Differenzkontrakte ein Sonderfall eines allgemeineren Konzepts sind: Formelkontrakte. Statt eines Kontrakts, der x Dollar von Alice und y Dollar von Bob einnimmt und x Dollar plus zusätzlicher z Dollar für jeden Dollar, um den ein bestimmter Kurs steigt, auszahlt, sollte ein Kontrakt Alice einen Kapitalbetrag zurückzahlen können, der sich nach einer mathematischen Formel berechnet – dies würde Kontrakte beliebiger Komplexität erlauben. Wenn die Formel Zufallsdaten als Eingaben zulässt, können diese verallgemeinerten CFDs sogar zur Implementierung einer Art Peer-to-Peer-Glücksspiel genutzt werden.
Ethereum greift diese Idee auf und geht weiter: Statt Vereinbarungen zwischen zwei Parteien zu sein, die einen Anfang und ein Ende haben, sind Kontrakte in Ethereum eine Art autonomer Agent, der von der Blockchain simuliert wird.
Author: Barry Clark
Last Updated: 1698036362
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